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Sind Kinder systemrelevant?

Lenkungsgruppe der "Frühen Hilfen" Neustadt verfasst offenen Brief

Offener Brief:

Sind Kinder systemrelevant? - Spabetti unter Hochspannung -

In einer Zeit, in der wir mehr Unterstützung für Familien brauchen müssen sich zunehmend mehr Angebote zurückziehen.

Der 6-jährige Alex ist eigentlich ein ganz normales Kind mit ganz normalen Eltern, aus einer ganz normalen Stadt, mit einer ganz normalen Wohnung, mit ganz normalen Geschwistern. Was ist aber 2020 und 2021 eigentlich noch normal?

Alex geht in den Kindergarten, eigentlich kommt er ganz gut mit. Gut, das mit dem Malen und Schneiden läuft nicht so richtig- aber Jungen haben halt keine Lust zu basteln, sagt der Papa. Beim Sprechen stößt Alex mit der Zunge an oder vertauscht Buchstaben. Wenn er Spabetti essen möchten, schmunzeln alle, ist ja auch niedlich.

Bisher waren diese „Auffälligkeiten“ auch gar nicht so schlimm. Aber seit ALLES im Lockdown ist- wird es irgendwie schlimmer!

Ja, mit den Einschränkungen im öffentlichen Leben, schränkt sich die Lebenswelt und somit das Lernfeld von Alex massiv ein! Es ist nicht nur die Kita geschlossen, in der Alex Lernfelder findet, welche eine Familie so nicht bieten kann. Er kann auch nicht mehr zum Fußballtraining, das Schwimmbad ist geschlossen, mit seinen Freunden kann er sich nicht verabreden- dabei hat er mit denen richtig tolle Tipis im Wald gebaut. Oma hatte ihm versprochen, mit ihm endlich ins Eisenbahnmuseum zu gehen; darauf wartet er seit letztem Herbst.

Alex Lebens- und Lernfeld reduziert sich gerade auf 70m2. Alles ist anders. Mama sitzt zu Hause, hat aber keine Zeit, weil sie immer am Computer sitzen muss. Sie sagt, sonst meckert ihr Chef - sie hat Fristen (allerdings denkt Mama auch oft, dass sie noch zwei Kinder hat… aber sie kann sich nicht teilen… und sie brauchen den Job. Die Mieten sind Wahnsinn). Papa sitzt auch am PC, wenn Alex mit ihm spielen möchte hat aber auch Papa keine Zeit… er sagt er muss arbeiten. Aber mit Jona, Alex 7-jährigen Bruder sitzt Papa immer am PC. Alex kann es nicht mehr hören: „Sei still, Jona macht Hausaufgaben. Jona ist im Homeschooling…“  Mama rennt zwischen Küche und Computer hin und her. Bloß nicht ansprechen… das weiß Alex mittlerweile. Dafür lacht jetzt auch keiner mehr, wenn er Spabetti sagt - jetzt ist es nicht mehr niedlich, sondern falsch. Alex sagt einfach nichts mehr.  Alles ist unter Hochspannung… er würde sooo gerne mal wieder raus! Seine Wut im Bauch ist so groß, dass er - wenn jetzt Fußballtraining wäre - die meisten Tore schießen könnte. Alle würden ihm zujubeln und Mama würde vielleicht auch mal wieder lächeln. Endlich wäre er mal wieder der Gute! Aber es ist Corona- sagen die Erwachsenen.

Kinder lernen nicht, weil wir ihnen Sachen zum Angucken und Üben geben! Kinder lernen, weil sie etwas tun dürfen, weil sie sich auseinandersetzen müssen- mit „Fremden“ mit Freunden mit anderen Gleichaltrigen mit Älteren, mit den Nahbaren, mit dem Fußballtrainer… sie dürfen die Bäume nicht nur im Buch sehen, sie müssen sie anfassen, sie müssen sie hören. Bildung ist viel mehr als Wissensvermittlung- Bildung muss erlebt werden. Bildung heißt (be-)greifen… Und das geht nicht auf 70 m2.

Denn es braucht bekanntlich ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. Es braucht nicht nur die Fläche sondern die Interaktionen, das Gemeinschaftliche und das Miteinander und mehr als den elterlichen Einfluss. Was könnten wir als Arbeitgeber, als Nachbar, Tante oder Freunde der Familie tun? Ist es für einen Arbeitgeber nicht ein Leichtes, die Arbeitszeit für Eltern flexibler zu gestalten? Ist es für die Patentante möglich, mal was vom Einkaufen mitzubringen? Kann ein Freund der Familie Alex mit zum Spielplatz mitnehmen?

Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen! Und wir sind alle dazu aufgerufen, uns als Bewohner dieser Dorfgemeinschaft zu fühlen und danach zu handeln.

Für das Netzwerk der Frühen Hilfen in Neustadt am Rübenberge

  • Anke Backhaus, Kitaleitung Ev. Kita Sonnenblume
  • Angela Sperling, Familienservicebüro Stadt Neustadt am Rübenberge
  • Janet Breier, Koordinatorin der Familien unterstützenden Projekte des Diakonieverbandes Hannover Land
  • Larissa Korpiun, Koordinierungszentrum Frühe Hilfen - Frühe Chancen Region Hannover
  • Jan Fehring, Koordinierungszentrum Frühe Hilfen - Frühe Chancen Region Hannover

Spendenkonto

Volksbank eG
IBAN: DE66 2519 3331 0400 0099 00
BIC: GENODEF1PAT
Weitere Spendenmöglichkeiten

Geschäftsführung: Jörg Engmann / Sandra Heuer

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